Zwanzig Jahre nach Inkrafttreten des UG 2002 hat am 12. Juni 2023 der UPV im Rahmen seiner Trilateralen Tagung zur Reflexion über das bisherige Wirken des Gesetzes sowie Möglichkeiten zu seiner Verbesserung eingeladen. Unter dem Motto „Governance Gestern – Heute – Morgen“ diskutierten Mitwirkende und Gäste aus verschiedenen Bereichen der Wissenschaft und Universitätspolitik.
„Universitäre Governance darf kein Selbstzweck sein, kein Kräftemessen in einer Konfrontation verschiedener Gremien, Interessengruppen und Individuen. Ihr Ziel sollte es sein, mit geringstmöglichem bürokratischem Aufwand den bestmöglichen Rahmen für ausgezeichnete und international kompetitive Wissenschaft und Lehre zu schaffen“, betonte der Vorsitzende Bernhard Keppler bei der Eröffnung der Veranstaltung: „Dieser Maßstab sollte sowohl für die Umsetzung des Universitätsgesetzes an den Universitäten gelten, als auch für dessen zukünftige Novellen.“
Bundesminister Martin Polaschek, Vizerektor an der Universität Graz von 2003 bis 2019, danach bis 2021 Rektor, schildert die Diskussionen zur universitären Autonomie, die dem Beschluss des UG 2002 vorangegangen waren und den intensiven Gestaltungsprozess im Zuge seiner Umsetzung. 30 Novellierungen im Lauf von 20 Jahren würden zeigen, dass das Gesetz immer wieder behutsam auf gesellschaftliche Bedürfnisse reagiere und sich aus der Praxis heraus weiterentwickle. Universitäten seien immer im Wandel, die österreichische Hochschullandschaft befände sich aber auf einem sehr guten Weg.
Für Sebastian Schütze, Rektor der Universität Wien, war das UG ein Quantensprung für die Entwicklung der österreichischen Universitäten. Es habe zu einem enormen Entwicklungsschub u.a. hinsichtlich der Internationalisierung geführt sowie zu einem Mentalitäts- und Kulturwandel. Notwendig sei es, die Handlungsspielräume, die die Autonomie mit sich bringt, mit Augenmaß zu nutzen, um die Entwicklung zu steuern. „Der Erfolg des Gesetzes beruht wesentlich auf der guten Zusammenarbeit zwischen den Universitäten und dem Ministerium, sowie auf einer vertrauensvollen und auf das gemeinsame Ganze gerichteten Zusammenarbeit der Universitätsgremien“, so Schütze.
Der Deutsche Hochschulverband war vertreten durch Lambert Koch, langjähriger Rektor der Bergischen Universität Wuppertal, der 2023 Bernhard Kempen als Präsident abgelöst hatte, der Verband der Schweizerischen Hochschuldozierenden durch Christian Bochet. Beide Präsidenten betonten die Wichtigkeit des gegenseitigen Austauschs im deutschsprachigen Wissenschaftsraum, in dem es viele Kontakte und Berührungspunkte auch bei hochschulpolitischen Themen gibt. Der Vergleich der Hochschulgesetze biete die Möglichkeit voneinander zu lernen, Anregungen auszutauschen und Optimierungschancen zu erkennen.
Autonome Universitäten?
Der Historiker Mitchell Ash umreißt in seinem Vortrag die Entwicklung der universitären Selbstverwaltung in Österreich und analysiert die Geschichte der Hochschulen in ihrem Verhältnis zum Staat sowie die Machtverhältnisse innerhalb der Universitäten. Insgesamt seien europäische Universitäten traditionell stärker vom Staat abhängig als z.B. Universitäten in den USA, die als Teil der Zivilgesellschaft verstanden werden, und in Österreich sei dieses Nahverhältnis immer besonders stark ausgeprägt gewesen.
Mit der Thun-Hohenstein’schen Universitätsreform, die auf dem von Franz Exner im Revolutionsjahr 1848 erstellten Konzept einer Reform des Bildungssystems basierte, wurde den Universitäten zwar die Freiheit von Forschung Lehre zugestanden, dem Ministerium unterstellte akademische Behörden sollten sie aber bis in die Mitte des 20. Jhs. bleiben. Auch die leitende Rolle der Professoren (die erste Professur an eine Frau wurde 1956 vergeben) blieb bis 1975 erhalten. Das Ende der Monarchie brachte wenig Änderungen im universitären Bereich, Reformbestrebungen von sozialistischer Seite verliefen im Sand. Sowohl während der Dolfuß-Diktatur als auch nach dem „Anschluss“ wurde die Selbstverwaltung der Universitäten weiter eingeschränkt, 1938 musste mehr als ein Drittel der Lehrenden die Universität Wien verlassen.
Stationen auf dem Weg zur heutigen Universität waren das Hochschulorganisationsgesetz 1955, das Universitätsorganisationsgesetz 1975 unter Bruno Kreisky, das neben der Öffnung der Universitäten durch Gebührenfreiheit auch ein Ende der Mehrheit der Professor:innen in universitären Gremien brachte, sowie dessen Novellierung 1993. Im Jahr 2002 schließlich wurde mit dem Beschluss des Universitätsgesetzes der entscheidende Schritt in Richtung Autonomie gesetzt: Die Universitäten wurden Personen des öffentlichen Rechts und werden von den Leitungsorganen Rektor – Senat – Universitätsrat geführt. Es fiel damit auch der Beamtenstatus der Professor:innen, über deren Berufung seitdem der Rektor bzw. die Rektorin entscheidet.
Ash erinnert daran, dass – ebenso wie die Freiheit von Forschung und Lehre im 19. Jh. – auch die heutige Autonomie der Universitäten eine formalrechtliche und vom Staat verliehene ist, so greifen Wissenschaftsministerium und Finanzministerium über Leistungsvereinbarung und Globalbudget weiterhin lenkend in die Universitäten ein. In der letzten Novellierung wurde auch durch die stärkere Regulierung von Anstellungsverhältnissen die Vollrechtsfähigkeit der Universitäten sehr zu ihrem Nachteil beschränkt (UG 2002 § 109). Auf internationaler Ebene wirken zudem Bologna-System und Europäische Drittmittelprojekte in die Universitäten.
Autonomie, die den Namen verdient hätte, wäre durch eine Mischfinanzierung ermöglicht worden, betont Ash. Durch den Wegfall der Studiengebühren gewannen jedoch Drittmittel immer mehr an Gewicht, Forschung wird immer stärker quantifizierbaren Ergebnissen unterworfen, was ebenfalls die Forschungsthemen beeinflusse. Reale Autonomie sei somit weiterhin ein Fernziel.
Universitäten im Wettbewerb
Georg Krücken skizziert in seinem Vortrag die Wandlung der Universitäten im 21. Jh. unter den Vorzeichen des sich potenzierenden Wettbewerbs. Zwar war Wettbewerb schon immer ein inhärenter Teil des Wissenschaftsbetriebs, in den letzten Jahrzehnten seien jedoch neue Dimensionen hinzugekommen. Ausschlaggebend dafür sind einerseits staatliche und überstaatliche Initiativen im Rahmen der wettbewerbsorientierten Hochschulfinanzierung wie EU Grants und Exzellenzinitiative. Gleichzeitig erfolgte in den letzten Jahrzehnten eine Transformation der Universitäten: Aus losen Strukturen der akademischen Selbstverwaltung unter staatlicher Ägide, deren Mitarbeiter:innen in erster Linie ihrem Fach verbunden waren, wurden einheitliche, handlungsfähige Akteure, die miteinander im Wettbewerb stehen. Leistungen sind durch Publikationsdatenbanken leichter zuordenbar, standardisierbar und vergleichbar, Managementberatung und PR hielten Einzug an Universitäten, Leitbilder, Identitäten und Alleinstellungsmerkmale werden kreiert.
Schließlich hat sich auch der Wettbewerb zwischen den Akteurinnen und Akteuren im Wissenschaftssystem verschärft. Eine immer größere Anzahl von Forschenden konkurriert nun nicht mehr primär um wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern um Mittel und Stellen, die nicht im gleichen Ausmaß zunehmen. In den USA, wo inzwischen 50 Postdocs auf eine Professur kommen, spricht man schon von einer Krise der Life Sciences. Infolge dieser Verschärfung der Konkurrenzsituation verlagert sich der Wettbewerb in immer frühere Karrierephasen, der Kampf um die beste Positionierung beginnt oft schon während der PhD Zeit.
Auch Universitäten konkurrieren untereinander um Ressourcen und Reputation. Vor allem die vernetzten Programme der DFG haben inzwischen Einfluss auf die Forschungsprofile der Universitäten bis hin zu Berufungsentscheidungen. Dies führe zunehmend zu Spannungen zwischen Individuum und Organisation, sowie in der internen Governance zu einer engen Koppelung zwischen Wettbewerb und Hierarchie, indem im wissenschaftlichen Wettbewerb besonders erfolgreiche Professor:innen an Einfluss gewinnen und mehr in Entscheidungen einbezogen werden. Dass dies zu einer Schwächung der Gemeinschaft führt, scheint wahrscheinlich.
Das UG 2002 – ein Erfolgsmodell?
In den Eröffnungsstatements der Podiumsdiskussion – moderiert von Barbara Schober und Bernhard Keppler – herrscht Einigkeit, dass das UG 2002 vieles für die Universitäten zum Positiven verändert hat. Heinz Faßmann, der die Implementierung des Gesetzes an der Universität Wien zunächst als Senatsmitglied und dann als Vizerektor von Anfang an begleitet hatte, bevor er 2017 die Leitung des Wissenschaftsministeriums übernahm, ist zufrieden: Die Universität Wien sei zweifellos besser aufgestellt, international wettbewerbsfähiger und handlungsfähiger. Sein Wunsch für die Zukunft wäre eine stärkere Kooperation zwischen Einheiten, die untereinander im Wettbewerb stehen, z.B. Fachhochschulen und Universitäten. Auch ein gemeinsames Personalentwicklungsprogramm der Universitäten könne zu mehr Effizienz führen.
Auch Sabine Seidler, Rektorin der TU Wien seit 2011 und uniko Vorsitzende, sieht im UG ein Erfolgsmodell, das die Universitäten befreit habe, verweist aber auf die inhärenten Spannungsfelder und Interessenunterschiede zwischen den Leitungsorganen, das Spannungsfeld zwischen Universität und Ministerium, sowie bei Universitätsräten auf Auffassungsunterschiede bei der Interpretation ihrer Aufgabe. Steuerung dürfe nicht zu Micromanagement werden. Christiane Spiel spricht ebenfalls das oft gespannte Verhältnis zwischen den Leitungsorganen an, wie es z.B. bei der Wahl des Rektors/der Rektorin zum Ausdruck kommt. Als stellvertretende Vorsitzende des Hochschulrats der Bergischen Universität Wuppertal zieht sie den Vergleich zu der dortigen kooperativen Zusammenarbeit zwischen den Gremien und sieht in Österreich Entwicklungspotential hinsichtlich eines gemeinschaftlicheren Vorgehens. Auch den unterschiedlichen Fächerkulturen sollte durch das Rektorats stärker Rechnung getragen werden.
Auf Seiten des Ministeriums wird ebenfalls ein gewisses Spannungsverhältnis konstatiert. Sektionschef Elmar Pichl vergleicht das Verhältnis zwischen den Universitäten mit ihrem Wunsch nach mehr Autonomie und den staatlichen Interessen mit einem Tanzpaar, bei dem beide Partner die Führung übernehmen wollen. Manche Bereiche wie z.B. das Studienrecht seien überreguliert, andere zu wenig reguliert. Die Leistungsvereinbarung würde allerdings als Steuerungsinstrument an Bedeutung verlieren, da sich die Universitäten zunehmend an den großen Forschungsprogrammen ausrichten.
Klaus Poier, Leiter des Zentrums für Hochschulrecht und Hochschulgovernance an der Universität Graz, blickt ebenfalls auf langjährige Erfahrung als Senatsmitglied zurück. Er spricht die Problematik an, dass Entscheidungen im universitären Bereich oft von einzelnen Individuen abhängen, ohne dass diese notwendigerweise über die dafür erforderliche Qualifikation verfügen. Zu überlegen sei, ob über Agenden in Gremien entschieden werden solle, denen kein zuständiger Fachvertreter angehört. Insgesamt sei das UG sicher ein Erfolg, nach 20 Jahren solle man aber darüber nachdenken, wie das System verbessert werden könne, das sich teilweise zu stark in Richtung einer Monokratisierung der Vorsitzenden von Senat und Universitätsrat entwickelt habe. Manches können die Universitäten selbst in ihrem Satzungen ändern, anderes würde in den Bereich des UG fallen. Bernhard Keppler, der seit 15 Jahren als Dekan die Fakultät für Chemie der Universität Wien leitet, hält ebenfalls eine Repräsentation der Organisationseinheiten im Senat oder im Rahmen einer erweiterten Universitätsleitung wie an der Universität Zürich für wünschenswert.
In der Diskussion mit dem Publikum wurde die Problematik der sich immer weiter drehenden Wettbewerbsspirale aufgeworfen: Beeinträchtigt ein Zuviel des Wettbewerbs fruchtbare wissenschaftliche Kooperationen, wie viele Ressourcen werden durch Projektanträge gebunden? Hat der Staat die Möglichkeit, im Sinn eines gesellschaftlich verantwortlichen und nachhaltigen Wettbewerbs regulierend einzugreifen? Kann eine Universität, die einer permanenten Steigerungslogik unterworfene ist, auf Dauer funktionieren? In Österreich stehen zudem Universitäten in Konkurrenz zu Institutionen, die einen Wettbewerbsvorteil dadurch haben, dass sie keine Lehre abhalten müssen. Gefordert wird eine bessere Dotierung der Universitäten, um die Abhängigkeit von Drittmitteln zu reduzieren.
Intensiv diskutiert wird auch die Lehre als Leistungsindikator. Inwieweit sind quantifizierbare Kriterien wie die Anzahl der prüfungsaktiven Studierenden ein sinnvoller Maßstab der Wertschätzung von Lehre? Es besteht die Befürchtung, das Niveau der Prüfungen und somit die Qualität der Ausbildung könne dadurch sowie infolge der schlechten Betreuungsverhältnisse sinken. Angesichts des bereits jetzt gravierenden Mangels an Lehrer:innen an den Schulen, der sich durch Pensionierungen in den kommenden Jahren noch weiter verschärfen wird, stellt sich nicht zuletzt die Frage nach Versäumnissen der Governance in diesem Bereich.
Lambert Koch ergänzt, dass in Deutschland nicht nur Universitäten im nationalen und internationalen Wettbewerb stehen, sondern zusätzlich die einzelnen Bundesländer mit ihrer Universitätsgesetzgebung den politischen Konjunkturzyklen unterworfen seien. Dies schaffe ungleiche Verhältnisse im Wettbewerb und führe auch zu ständiger Unruhe, da Systemen oft nicht die Zeit gegeben wird sich zu bewähren. Diskutiert werde auch, ob der Drittmittelanteil inzwischen zu hoch ist, der Zeitaufwand für Anträge sei enorm. Kooperation sieht er nicht im prinzipiellen Gegensatz zum Wettbewerb: Es hätten sich neue Formate zur konstruktiven Kooperation gefunden.
Angesprochen wurden auch die Rolle und Zusammensetzung des Universitätsrats, in dem die Wünsche und Probleme der Universität nicht vertreten sind. Heinz Faßmann befürwortet die derzeitige Regelung eines vollständig von der Universität unabhängigen Universitätsrats. Lambert Koch hält dem entgegen, dass in Nordrhein-Westfalen im Hochschulrat auch Mitglieder der Universität vertreten sind, wodurch Akzeptanz und Authentizität des Gremiums gewährleistet seien.
Um der Veranstaltung auch nachhaltige Wirkung zu verleihen, regt Christiane Spiel abschließend bei Elmar Pichl eine Arbeitsgruppe an, die Vorschläge für die nächste Novelle des UG erarbeiten soll. Klaus Poier zieht das Resümee der Veranstaltung: Nach 20 Jahren sei zu überlegen, wie man die Universitäten noch weiter in die Autonomie entlassen könne.
Links:
- Download Vortrag Georg Krücken „Wettbewerb und interne Governance“
- Presseerklärung des UPV: 20 Jahre Universitätsgesetz: Erfolgsstory mit Entwicklungspotential
- Gemeinsame Presseerklärung des UPV, DHV und VSH: Hochschulautonomie und Karrierewege: Verbände fordern angemessene Budgetierung
(Copyright Fotos: Joseph Krpelan)